Der Konflikt in Georgien gehört momentan zu den wichtigsten politischen Themen in Polen. Zum ersten Mal seit 1991 hat Russland militärische Gewalt gegen ein souveränes Land angewendet, was in Polen als ein höchst besorgniserregend bewertet wurde. Im Georgien-Konflikt war der polnische Präsident Lech Kaczynski von Anfang an besonders aktiv. Schon seit langem kritisiert er, dass Russland immer weniger Rücksicht auf seine Nachbarn nimmt. Das starke Engagement des Präsidenten für Georgien ist auch darauf zurückzuführen, dass er Osteuropa als seinen Schwerpunkt im Bereich der Außenpolitik definiert. Währenddessen nahm die polnische Regierung zu Beginn des Konflikts eine gemäßigtere Position ein und verwies auf die Komplexität der Ursachen, die zur Eskalation führten. Im Laufe der Ereignisse wurde die Regierung durch die zunehmend scharfe Rhetorik von Präsident Kaczynski nach und nach dazu gezwungen, eine entschiedenere Position zu beziehen.
Georgien - Bühne für innerpolnischen Machtkampf
Zweifelsohne ist der Georgien-Konflikt auch eine Bühne, auf der der innenpolitische Machtkampf zwischen Präsident und Premierminister ausgetragen wird. Im Vorfeld der 2010 anstehenden Präsidentschaftswahlen haben die beiden großen Parteien, die Bürgerplattform, an derer Spitze Ministerpräsident Tusk steht und die Partei des Präsidenten Kaczynski, PiS, die Außenpolitik als Wahlkampfthema entdeckt. So ist der Eindruck unvermeidlich, dass die Verschärfung der innenpolitischen Auseinandersetzung darüber, wer auf die Ereignisse in Georgien „richtiger“ reagierte, sowohl dem Präsidenten als auch dem Premierminister gelegen kam. Mit seiner harten Haltung gegen Russland wollte Kaczynski bei seinen Stammwählern, die traditionell Russland gegenüber negativ eingestellt sind, punkten. Premierminister Tusk wiederum versuchte sich als ein Staatsmann zu profilieren, der strategisch vorgeht und nicht seinen Emotionen unterliegt. Die daraus resultierenden Animositäten zwischen beiden Politikern bezogen sich auf die Frage, wer angesichts des Georgien-Konflikts die Grundlinie von Polens Außenpolitik bestimmt.
Während der Sondersitzung des EU-Rates am 1. September 2008 wurde eine gemeinsame Position der EU gegenüber dem Konflikt und seinen Implikationen abgestimmt. Dabei forderte Polen eine eindeutige Bewertung der russischen Handlungen in Georgien, die Begrenzung der diplomatischen Kontakte zwischen der EU und Russland, und die Verschiebung des für Mitte November geplanten EU-Russland Gipfels, sprach sich aber nicht für wirtschaftliche Sanktionen aus. Vielmehr konzentrierte sich Polen auf die Frage der EU-Annäherung Georgiens, der Ukraine und weiterer osteuropäischer Länder sowie die Frage der Energiesicherheit. Hier tritt Polen für eine grundsätzliche Stärkung der Beziehungen zwischen der EU und ihren östlichen Partnern ein. Hierzu kann die von Polen und Schweden im Spätfrühling vorgelegte Initiative einer „östlichen Partnerschaft“ dienen. Vor dem Hintergrund des Konfliktes in Georgien gewann sie neue Bedeutung, was die polnischen Politiker mit Genugtuung erfüllte. Der polnische Außenminister nannte sie sogar „prophetisch“.
Polen und Schweden für östliche Partnerschaft
Polen wird sich in nächster Zeit vorrangig darum bemühen, die Arbeiten an der „Partnerschaft“ zu beschleunigen und die Initiative mit Inhalten zu füllen. Viel schwieriger wird es sein, konkrete Maßnahmen im Bereich Energiesicherheit zu erarbeiten, was ebenfalls auf Initiative Polens während des EU-Sondergipfels am 1. September beschlossen wurde. Das Problem besteht darin, dass das EU-Energiepaket, das zum Schlüsselprojekt der Union im laufenden Jahr wurde, wahrscheinlich zur Steigerung der Erdgas-Nachfrage und somit der Nachfrage nach russischen Erdgas-Lieferungen führen wird. Hier muss Polen eine Lösung vorschlagen, die die Erhöhung der Emissionen verhindert und zugleich die Abhängigkeit von Russland reduziert.
Vor dem Hintergrund des Georgien-Konflikts konnte Polen seine Position auf der internationalen Bühne stärken. Polen wurde als Anwalt einer aktiven Politik gegenüber den östlichen Nachbarstaaten der EU wahrgenommen. Die polnische Einschätzung der Kreml-Politik und ihrer wahren Absichten wurde durch die aktuellen Ereignisse in Georgien bestätigt und von der Gesamt-EU anerkannt. Zugleich positioniert sich die polnische Regierung in der Frage des Konfliktes gemäßigter als erwartet. Sie vertritt dadurch eine Linie, die den Denk- und Verhaltensmuster der anderen EU-Staaten nahe liegt.
Polen, Russland und USA
Aus diesen Gründen werden sich die polnisch-russischen Beziehungen künftig anders gestalten. Die Rolle, die Polen spielte, als es darum ging, eine einheitliche EU-Position gegenüber Russland festzulegen, bedeutet, dass Moskau seine bisherige Politik der selektiven Beziehungen, die die einzelnen EU-Mitgliedstaaten in privilegierte und mehrheitlich ignorierte Partner einteilt, überdenken muss. Angesichts der zunehmenden Rolle, die Polen innerhalb der Europäischen Union, der transatlantischen Gemeinschaft und auf der internationalen Bühne spielt, muss Russland Polen stärker berücksichtigen. Da es aber grundsätzliche strategische Unterschiede gibt, werden die polnisch-russischen Beziehungen in absehbarer Zukunft kühl bleiben.
Zudem bietet sich Polen die Chance, seine Beziehungen mit den Vereinigten Staaten zu intensivieren. Bislang konzentrierte sich die US-Außenpolitik hauptsächlich auf den Krieg gegen den Terrorismus. Der Konflikt in Georgien zwingt nun die USA sich verstärkt mit Russland zu beschäftigen. Dabei kann ihnen Polen behilflich sein. Die Welt, mit der wir es nach dem 7. August 2008 zu tun haben, wird sicherlich zu einer engeren Zusammenarbeit im transatlantischen Bereich führen – und Polen wird einer der entschiedensten Anwälte einer solchen Zusammenarbeit sein.
Warschau, 3. September 2008
Paweł Świeboda ist Vorsitzender von demosEUROPA – Centrum Strategii Europejskiej (demosEUROPA – Zentrum für Europäische Strategien)